Direkt zum Inhalt
04.04.2022
Bild des Politiker Ulrich Möhl von den Grünen

Wir haben die Landtags-Kandidat*innen der demokratischen Parteien angeschrieben und ihnen Fragen zum Thema Inklusion gestellt, die durch die Landespolitik direkt beeinflusst werden könnten. Sämtliche Antworten der Politiker*innen aus Ostwestfalen-Lippe, die die Zeit gefunden haben hierzu Stellung zu beziehen, werden wir in den kommenden Wochen bis zur Wahl hier unkommentiert veröffentlichen. Los geht´s mit...

Ulrich Möhl, Bündnis 90/Die Grünen, Wahlkreis Paderborn II

 

KSL Detmold: Trotz gesetzlicher Vorgaben (IGG und BGG NRW) besitzen über 45% der Kommunen in NRW nach wie vor keine Interessenvertretung für die Belange von Menschen mit Behinderung. Welche Anstrengungen wollen Sie unternehmen, um die Interessenvertretung in den Kommunen zu verbessern?

Ulrich Möhl: Interessenvertretungen für die Belange von Menschen mit Behinderungen sind ein wichtiges Instrument, um mehr Teilhabe für Menschen mit Beeinträchtigungen zu ermöglichen.

Darüber hinaus sollten sie aber auch insgesamt das Bewusstsein in Politik und Gesellschaft für Inklusion und Teilhabe aller Menschen schärfen. Wir unterstützen Kommunen dabei, die politische Teilhabe und Interessenvertretung von Menschen mit Beeinträchtigungen zu verbessern. Bisweilen braucht es aber den Hebel der Kommunalaufsicht, um die Kommunen an die Erfüllung ihrer Pflichten zu erinnern, um die Teilhabe in möglichst allen Bereichen der Selbstverwaltung sicher zu stellen.

 

KSL Detmold: Die Herstellung von Barrierefreiheit erfordert mehr, als die Errichtung von Rampen und Aufzügen für mobilitätseingeschränkte Menschen. Sie wird beispielweise auch bei der Informationsvermittlung für Menschen mit kognitiven oder Sinnesbeeinträchtigungen benötigt, indem Leichte Sprache oder Gebärdendolmetscher:innen zur Verfügung gestellt werden. Welche Maßnahmen zur Herstellung von Barrierefreiheit wollen Sie in NRW vorantreiben?

Ulrich Möhl: Augenhöhe mit Betroffenen ist entscheidend. Deshalb nutzen wir den Austausch im Inklusionsbeirat, um organisierte Selbstvertretungen von Menschen mit Behinderung stärker zu fördern. Gemeinsam finden wir Lösungen für die Bereiche, die noch nicht für alle auffindbar, zugänglich und nutzbar sind.

Wir stärken die Teilhabe und Selbstständigkeit von Menschen mit Beeinträchtigungen, indem wir
- wieder klare Standards für barrierefreien Wohnraum in die Landesbauordnung aufnehmen,
- Quartiere und Stadtteile möglichst barrierefrei bauen und

- bei Neubauten standardmäßig für unter anderem rollstuhlgerechte Wohnung sorgen.

Die Standards für das Kommunizieren von Prozessen in Politik und Verwaltungen in verständlicher und barrierefreier Form müssen umgesetzt werden.

 

KSL Detmold: Das segregierende System der Förderschulen soll laut UN-BRK schrittweise abgebaut werden. Trotzdem steigt die Zahl der Förderschulplätze stetig. Welche nächsten Schritte sind ihrer Meinung nach notwendig, um den Anteil der Schüler:innen im Gemeinsamen Lernen zu erhöhen?

Ulrich Möhl: Das überkommene Denken des letzten Jahrtausends ist immer noch nicht überwunden. Immer noch ertönt der Ruf nach homogenen Lerngruppen und früher Segregation. Die Lobby für eine segregierende Schulform ist auf Seiten der Eltern aber auch der entsprechenden Verbände hoch.

Die sogenannte „Neuausrichtung der schulischen Inklusion“ in der schwarz-gelben Regierungszeit hat die Absonderung und das Förderschulsystem gestärkt anstatt die Entwicklung eines inklusiven Schulsystems voranzutreiben wie es die UN-BRK verlangt.  Die Bedingungen für das Gemeinsame Lernen an den Regelschulen wurden dagegen noch herausfordernder. Die derzeitige Aufgabenverteilung im Schulsystem nimmt das Gymnasium weitgehend von der Entwicklung eines inklusiven Bildungssystems aus. Die schwarz-gelbe Koalition in NRW hat die bereits angelegten inklusiven Schulentwicklungsprozesse für das gesamte Schulwesen bewusst zurückgedreht.  

Wir setzen darauf, begleitend zu den notwendigen schulstrukturellen Diskussionen an Konvergenzen der Schulformen und pädagogischen Orientierungen zu arbeiten. Das ist allein schon geboten, um der Realität der längst bestehenden Heterogenität an allen Schulen und Schulformen und damit den Schüler:innen gerecht zu werden. Leitlinie muss eine Pädagogik der Vielfalt sein.

Im Zuge der Schulentwicklung hin zu einem inklusiven Bildungssystem setzen wir darauf, dass umfassende Inklusion eine Aufgabe für alle Schulformen ist. Eine Schulform, in die landesweit mehr als 40% aller Kinder nach der Grundschule gehen, kann und darf sich nicht aus der gesellschaftlichen Verantwortung verabschieden. Gymnasien haben sehr wohl gezeigt, dass auch sie erfolgreich zieldifferent arbeiten können

Die Lerngruppengrößen im Gemeinsamen Lernen müssen verbindlich und verlässlich reduziert werden. Gemäß dem Prinzip Ungleiches ungleich zu behandeln, müssen Schulen in herausfordernden Lagen zusätzliche personelle Unterstützung erfahren (Schulen³) und mehr Ressourcen für Team- und multiprofessionelle Arbeit, Beratung und Vernetzung.

 

Das KSL Detmold bedankt sich für die Beantwortung unserer Fragen.

 

Hinweis: Die Statements der Politiker*innen decken nicht die Positionen der gesamten Parteienlandschaft ab. Die inhaltliche Verantwortung liegt bei den Parteien – nicht bei den Kompetenzzentren Selbstbestimmt Leben (KSL.NRW).