Direkt zum Inhalt

Stellungnahme zum Referentenentwurf des Reha- und Intensivpflegestärkungsgesetzes (RISG)

Stellungnahme zu den Änderungen der §§ 37 und 37c SGB V. des Referentenentwurfs eines Gesetzes zur Stärkung von Rehabilitation und intensivpflegerischer Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung (Reha- und Intensivpflege-Stärkungsgesetz – RISG)

 

 

Noch vor wenigen Monaten sind bei der Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) die Themen „Mehrkostenvorbehalt“, „Wunsch- und Wahlrecht“ sowie „Zumutbarkeit“ vor dem Hintergrund des Selbstbestimmt-Leben-Ansatzes hitzig diskutiert worden. Leider sind in den gesetzlichen Änderungen durch das BTHG an zahlreichen Stellen unklare Rechtsbegriffe verblieben, durch die den Leistungsträgern Entscheidungsspielräume eingeräumt werden, die ihnen nach der UN-Behindertenrechtskonvention (Artikel 19 a) eigentlich nicht zustehen. Auch der Referentenentwurf des RISG missachtet das in der UN-BRK verbriefte Recht auf freie Wahl des Aufenthaltsortes sowie die Gewährleistungspflicht des Staates, nicht zum Leben in einer besonderen Wohnform verpflichtet werden zu können. Die Erklärung, Leistungen der häuslichen Intensiv-Pflege nur noch in Ausnahmefällen zu gewähren und in der logischen Folge zusätzliche, stationäre Pflegeplätze einrichten zu müssen, läuft den Vorgaben der UN-BRK unmissverständlich entgegen. Eine Vielzahl der betroffenen Beatmungspatienten wird aus genau dem Personenkreis stammen, dem mit dem BTHG ein Mehr an Selbstbestimmung versprochen wurde. Die Kritik und die Sorgen, dass trotz des BTHGs, Leistungen weiterhin nicht selbstverständlich in der eigenen Wohnung gewährt werden könnten, werden nun aus dem Leistungsbereich der Pflege- und Krankenversicherung neu genährt.

 

Zur Begründung für die Notwendigkeit der Änderungen der §§ 37 und 37c SGB V. werden vor allem die Kosten und Probleme bei der häuslichen Pflege von Beatmungspatienten angeführt.

 

Der im Referentenentwurf auf Seite 15 zitierte Artikel aus der Fachzeitschrift „Pneumologie“ aus 2017 stellt fest, dass eine bessere, fachmedizinische Betreuung invasiv beatmeter Patienten, vermutlich dazu führen würde, dass in zahlreichen Fällen auf diese intensivpflegerisch zu betreuende Form der Beatmung verzichtet werden könnte. Dies könne durch eine gezielte Entwöhnung der künstlichen Beatmung erreicht werden.

Im Fazit des Aufsatzes wird daher angeregt, die fachmedizinische Betreuung invasiv beatmeter und im häuslichen Umfeld betreuter Patienten zu verbessern. Zitat: „Regional organisierte, intersektoral ausgerichtete und multiprofessionell aufgestellte telemedizinische Netzwerke könnten bei der Sicherstellung der Betreuung durch ärztliche Spezialisten und weitere spezialisierte Therapeuten gute Unterstützung leisten.“ (Pneumologie 2017; 71: S.206).

Das eine intensivpflegerische Betreuung im häuslichen Umfeld nicht angemessen oder sinnvoll sei, wird im Artikel nicht festgestellt. Im Gegenteil: der Hinweis auf „telemedizinische Netzwerke“ bezieht die häusliche Betreuung in der Betrachtung ausdrücklich mit ein.

 

Die Tatsache, dass es im Bereich der Intensivpflege Dienste gibt, die nicht korrekt arbeiten und falsche Abrechnungen stellen, kann nicht als Argument dienen, diesen Versorgungsbereich förmlich abschaffen zu wollen. Die Konsequenz hieraus müsste stattdessen sein, die Prüf- und Abrechnungsverfahren zu verbessern sowie mehr Augenmerk auf die ordnungsrechtliche Aufklärung von diesbezüglichen Betrugsdelikten zu legen. Mit dem im Referentenentwurf (Seite 16) zitierten Hinweis auf reißerische „Razzia“-Artikel wird leider auch die überwiegende Mehrzahl der ambulanten Dienste und Pflegekräfte in Misskredit gebracht, die fachgerecht, engagiert und korrekt ihre Arbeit verrichten. Auch wenn die personalintensivere Betreuung im häuslichen Bereich deutlich mehr Geld kostet, dürften die Gewinnmargen der häuslichen Intensiv-Pflegedienste nicht größer, als die der stationären Angebote sein, da die Aufwendungen unmittelbar in die Personalkosten fließen, in denen kein legales Einsparpotential vermutet werden kann.

 

Der Hinweis darauf, dass es zunehmend schwieriger wird, Intensiv-Pflegedienste mit freien Kapazitäten zu finden, ist korrekt und bekannt. Vor den gleichen Problemen würden jedoch auch benötigte, neue, stationäre Pflegeangebote stehen, da die Ursache in dem allgemeinen Mangel an Pflegepersonal begründet liegt. Dieser wirkt sich auf alle denkbaren Versorgungssysteme gleichermaßen aus, so dass er als Argument für eine stärkere stationäre Ausrichtung nicht geeignet ist. Im Gegenteil: Der Ausfall einer für 10 stationäre Beatmungspatienten zuständigen Fachkraft ließe sich weit schwerer kompensieren, als der Ausfall einer Fachkraft im häuslichen Umfeld, da dort nicht selten auf ein Netzwerk aus Fachdiensten, angelernten Assistenten, Angehörigen und Freunden zurückgegriffen werden kann. Persönliche Assistenten und Angehörige stellen hierbei in aller Regel eine vom Betroffenen selbst gewählte Ressource dar, der trotz fehlender Fachausbildung, zahlreiche pflegerische Aufgaben anvertraut werden. Auch dies zählt zu den geforderten Selbstbestimmungsrechten bei der Gestaltung von Versorgungs- und Unterstützungsleistungen.

 

 

Zusammenfassend erscheint es demnach ausreichend, betrügerischen Intensiv-Pflegediensten das Handwerk zu legen (Aufgabe von Polizei und Justiz) sowie die medizinischen Möglichkeiten zur Entwöhnung einer künstlichen Beatmung im Einzelfall besser in den Blick zu nehmen.

Beides rechtfertigt jedoch nicht den Rückbau der häuslichen Pflege-Versorgung von Beatmungspatienten und die hiermit verbundene Verpflichtung zu einer stationären Aufnahme. Sie bedeutete einen tiefen Eingriff in die Selbstbestimmungs- und Persönlichkeitsrechte der Betroffenen und ist unvereinbar mit den Forderungen der UN-Behindertenrechtskonvention. Die Konvention schützt hierbei alle Menschen mit Behinderung - also auch jene, die eine fachpflegerische 24-Stunden-Betreuung benötigen und jene, die nicht in der Lage sind, eigene Entscheidungen äußern zu können. 

 

 

Stephan Wieners

(Kompetenzzentrum Selbstbestimmt Leben OWL)